Kult und Kunst (Porträt 2012, von Robert Frank) - Swiss Press Award

Robert Frank
Als der 31-jährige Robert Frank 1955, mit einem Guggenheim-Stipendium ausgestattet, zu seiner grossangelegten Reportagefahrt quer durch die USA aufbricht, ahnt noch keiner den frühen Ruhm. Dieser kam mit der Publikation von «The Americans» 1959 in Buchform, Einführung: Jack Kerouac. On the road, beide. Er reist von New York aus mit Walker Evans nach Maine, weiter allein nach Detroit, Washington, Florida, Houston. Die Verlängerung des Stipendiums ermöglicht die Fahrt nach Kalifornien, Pennsylvania, Chicago. Dem Reporter ist ein fotografierender Essayist der amerikanischen Gesellschaft entwachsen, dem 1924 in Zürich geborenen, vorzüglich ausgebildeten Fotografen ein Künstler. Ein Blick zurück zeigt ihn eingebettet in die zwei Stränge, welche noch die Schweizer Fotografie der 1940er-Jahre auszeichneten, hie Kübler mit seiner Reportercrew, da Finsler und seine Grundschule des Sehens. Frank hat früh seine eigene, unverwechselbare Position gefunden. Auftragsarbeit ist ihm suspekt, bereits 1946 profiliert er sich als Autor. Die ersten Kontaktbogen seines immensen Werkverzeichnisses könnten ihn durchaus als Dokumentaristen ausweisen: Albisgüetli-Chilbi und 1.-Mai-Demonstration, Zürich 1945. Die Zeitschriften «Camera» und «Du» publizieren Einzelbilder. Aber dass er von Magnum nicht berücksichtigt wird, ist symptomatisch – und ein Glücksfall. Als Fotograf des Beiläufigen und Normalen geht er den wichtigen Ereignissen geradezu aus dem Weg. Er misstraut dem äusseren Schein, und so entsprechen die vielen Unschärfen seiner Bilder vollkommen seiner inneren poetischen Bewegtheit. Die Reportagen aus London und Paris, aus Peru und Spanien künden davon. Dieser Blick, der bis heute wach ist und ein grandioses fotografisches Werk der zweiten Lebenshälfte produziert hat, der hinter die blossen Erscheinungen vorstösst, schenkt uns eine subjektive Chronik von Welthaltigkeit, die auf Wahrheit abzielt. Frank ist Kult – und Kunst.