Abbau Ost (Schweizer Geschichten 2011, von Marco Frauchiger) - Swiss Press Award
Der Bund
Marco Frauchiger
Beim Imbiss an der Käthe-Kollwitz-Strasse war niemand. Manfred Eichhorst haben
sie dann in der Waffenhandlung Zeissig getroffen. Hoyerswerda? «Heimat», hat er gesagt.
Hoyerswerda, grösste Stadt der nördlichen Oberlausitz, Grosse Kreisstadt im sächsischen Land-
kreis Bautzen, 1991 international bekannt geworden durch ausländerfeindliche Krawalle – vor allem
aber eine Stadt, der die Menschen ausgehen. Kohle, Energie, Hochbau: Mit der DDR ist auch
die Arbeit verschwunden. Nirgendwo in Deutschland gibt es eine höhere Abwanderungsquote –
29 Prozent sind es seit der Wende. Dazu kommen der Geburtenrückgang und die Alterung,
und so hat Hoyerswerda bis heute die Hälfte der damals 70 000 Einwohner verloren. Viele Plattenbauten haben sich ebenso geleert wie das Obdachlosenheim.
Die zwei Berner Fotografen Marco Frauchiger und Simon Tanner haben sich nach Hoyerswerda
aufgemacht, um ein «visuelles Psychogramm» dieser Stadt zu erstellen. Ihre Bilder geben der demografischen Krise ein Gesicht. Es ist das von Birgit Lauer, die ein Bowlingcenter betreibt und
sagt, dass die Hoffnung zuletzt stirbt – «aber hier stirbt sie». Das von Herrn Rentsch, der Hartz IV
hat, einen Hund und eine «Heimat», so wie der Waffenverkäufer. Oder das der Teenagerin
auf der Doktor-Wilhelm-Külz-Strasse: «Das ist eine Rentnerstadt.» Sie will weg, so bald wie möglich.
Laut einer aktuellen Prognose wird Hoyerswerda in den kommenden fünfzehn Jahren weitere
zehntausend Einwohner verlieren.
Die Arbeit entstand im März 2010 in Hoyerswerda, Bundesland Sachsen.
Simon Tanner und Marco Frauchiger