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Die Rückkehr des lange verschollenen Rolf Bantle (Swiss Press Text 2016, von Rahel Koerfgen) - Swiss Press Award

Schweiz am Sonntag

Text
2016

Rahel Koerfgen

Manchmal kann aus etwas Kleinem etwas ganz Grosses werden. Ich hätte nie geglaubt, dass eine von mir verfasste Story um die Welt geht. Doch genau das tat die Geschichte von Rolf Bantle, jenem 71-jährigen Basler, der sich im August 2004 während eines Fussballmatches im San-Siro-Stadion verirrt hatte, seine Gruppe nicht mehr fand und danach zehn Jahre auf Mailands Strassen lebte. Kurz nach Erscheinen des ersten Artikels am 1.11.2015 nahmen – abgesehen von nahezu allen nationalen Publikationen – Medien rund um den Globus die Geschichte auf: Sowohl die europäischen wie in England („The Sun“, „The Daily Mirror“), Italien („La Repubblica“, „Sport Mediaset“), Frankreich, Spanien oder der Türkei, als auch jene aus Übersee wie in Nigeria, den USA oder gar Australien.
Alles begann mit einem kleinen Eintrag im Kantonsblatt Basel-Stadt, den ich Ende Oktober 2015 entdeckte. Demnach wurde „die Verschollenerklärung in Sachen Rolf Bantle infolge Wiederauftauchens“ aufgehoben. Ich stutzte: Wenn einer als verschollen gilt, taucht er in der Regel nicht mehr auf. Ich besuchte Bantle wenige Tage später in seinem neuen Zuhause, dem Alterszentrum „zum Lamm“ in Basel, worauf er mir eine Kurzversion seiner Erlebnisse erzählte. Da wusste ich, dass diese Geschichte eine ganz grosse ist. Bantle aber war unschlüssig, ob er damit an die Öffentlichkeit gehen wollte. Auch seine Betreuerin war alles andere als begeistert. Ich spürte jedoch, dass zwischen Bantle und mir von Beginn weg eine grosse Sympathie da war, und so sagte ich ihm, er solle sich Zeit lassen mit seiner Entscheidung. Vier Tage später rief er mich an, dass er bereit sei, die Geschichte publik zu machen.
Ich besuchte Bantle mehrere Male, nahm mir Zeit. Ich spürte, dass er Vertrauen in mich fassen musste. Zudem brauchte er mehrere Anläufe, seine Erinnerungen zu aktivieren – aufgrund des Alkoholmissbrauchs der vergangenen Jahre hatte er manchmal Mühe, die Zusammenhänge aufzuzeigen, und es gab Lücken, die ich aktivieren musste, indem wir uns gemeinsam in die Zeit zurück versetzten. Es war eine schöne Zeit, wir lachten viel.
Rolf Bantle ist Alkoholiker, heute aber nahezu trocken. Ich realisierte das bereits beim ersten Treffen. Mir war jedoch wichtig, dies in meiner Berichterstattung in keiner Weise zu verurteilen oder Bantle gar an den Pranger zu stellen. Ich denke, das ist mir auf einfühlsame, nicht wertende Art gelungen. Und darüber bin ich froh, denn ich habe höchsten Respekt vor ihm und seiner Lebensgeschichte; er hatte es alles andere als einfach in seinem Leben. Und deshalb zeigte ich im ersten Artikel ausschliesslich seine Sicht der Dinge auf, wollte ihm diese Plattform geben und niemandem Platz geben, der ihm widersprechen könnte. Denn das ist ihm sein ganzes Leben immer wieder widerfahren. Erst im zweiten Artikel liess ich auch den Leiter des Heims, wo Bantle vor seinem Verschwinden wohnte, zu Wort kommen.
Nach dem Erscheinen des ersten Artikels war der Rummel um Bantles Person gross. So gross, dass er zwei Tage später entschloss, keine Interviews mehr zu geben. Er wolle nur mit mir reden, sagte er zu mir. Das hat mich sehr gefreut, denn es zeigte mir, dass ich im Umgang mit ihm und der Weise, wie ich seine Geschichte wiedergegeben habe, alles richtig gemacht habe. Bantle war sogar bereit, in meinem Beisein zum ersten Mal nach elf Jahren sein altes Heim auf dem Dietisberg bei Läufelfingen zu besuchen. Daraus entstand der zweite Artikel, der am 8.11.2015 publiziert wurde.
Vielleicht ist die Geschichte von Rolf Bantle nicht die relevanteste. Aber sie geht mitten ins Herz. Und solche Geschichten braucht es auch – solche mit einem Happy End.

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